Tagesspiegel - Papierausgabe, Montag, 25. August 2025
Von Jörn Hasselmann
Die Deutsche Bahn verärgert ihre Kunden mit monatelangen Vollsperrungen, weil Strecken saniert werden müssen. Die ICE-Strecke nach Hamburg war im vergangenen Jahr vier Monate nicht befahrbar, Anfang August hat eine weitere, nun neunmonatige Rekordsperrung begonnen. Im kommenden Jahr wird die Berliner Stadtbahn zwischen Charlottenburg und Ostbahnhof für Fern- und Regionalbahn für genau sechs Monate unterbrochen. Muss das sein?
Die Bahn sagt: Ja: Durch die vielen Züge verschleißen die Schienen einfach schneller. Professor
Markus Hecht von der Technischen Universität Berlin sagt: eigentlich nicht.
Wenn die Züge, egal ob ICE oder
S-Bahnen, bessere Laufwerke hätten, würden Schienen und
Schwellen viel länger halten. Doch
der Bahn seien bessere Drehgestelle zu teuer. Die Bahn sei deshalb schuld an den überlangen
und ständigen Sperrungen.
Besonders dramatisch sei dies
auf der Berliner Stadtbahn. Diese
besteht fast nur aus Kurven. Hätten die Waggons "radial einstellbare" Räder in den Fahrgestellen,
würden die Gleise auf der Stadtbahn zwei bis drei Mal länger halten, sagte Hecht dem Tagesspiegel.
Dieser Typ Rad hätte noch einen Vorteil: Die S-Bahn könnte Tempo 70 fahren statt 60, sagt der Fachmann. Dies wiederum würde die Kapazität steigern. In den vergangenen Jahren war die Stadtbahn immer wieder, wochen- oder monatelang gesperrt.
Hecht ist seit fast 30 Jahren Professor an der TU in Charlottenburg und Leiter des Fachgebiets Schienenfahrzeuge. Er sagt: Früher hatten die Berliner S-Bahnen der wichtigsten Baureihe 481 gute Fahrwerke mit radial einstellbaren Rädern.
Doch diese wurden ausgetauscht gegen einfachere und deshalb wartungsärmere. Doch diese ruinieren die Gleise viel schneller, schon nach sieben bis acht Jahren, erklärt der Fachmann.
Das weiß der Fahrgast natürlich nicht aber er hört es. „Seitdem quietschen die Züge auch so", sagt Hecht. Das Kreischen der Züge ist von allen kurvigen Strecken bekannt, von der Stadtbahn und vor allem dem Nord-Süd-Tunnel der S-Bahn. Jeder Waggon bei der Bahn hat zwei Drehgestelle, in denen jeweils zwei Achsen gelagert sind. Für seine Studenten hat er sich verschiedene Typen Drehgestelle für eine Art Riesenmodellbahn anfertigen lassen. Das Drehgestell mit einstellbaren Rädern fährt alleine durch die Kurve. Das mit starren Rädern bleibt einfach stecken. In echt werden dabei die Gleise stark belastet.
Die Schweiz macht es besser Bessere Räder würden einen Waggon nur etwa ein Prozent teurer machen, sagt Hecht. Das Geld spart sich die Deutsche Bahn, weil sich die Investition nicht rechne.
Anders in der Schweiz: Hier müssen Bahnunternehmen Aufschläge zahlen, wenn ihre Züge die Strecke stark abnutzen. Das sind die sogenannten Trassenpreise, die jedes Bahnunternehmen zahlen muss an den Eigentümer der Infrastruktur.
Hecht sagt: „Es gibt in unseren Trassenpreisen keine Belastungskomponente. Die Fahrzeuge dürfen die Gleise beliebig stark beanspru- chen." In der Schweiz müssen bei hoher Belastung bis zu 20 Prozent Aufschlag gezahlt werden. Deshalb werden in der Schweiz Waggons sogar nachträglich mit gleisschonenden Fahrwerken ausgerüstet.
Auch Großbritannien, Österreich oder Italien hätten das Problem erkannt und verlangen für "Schienenmörder" höhere Trassenpreise. Der DB sei das alles völlig egal, ärgert sich Hecht.
"DB Regio und DB Fernverkehr beschaffen seit Jahrzehnten nur die kostengünstigsten Fahrwerke, die die Gleise stark beanspruchen." Bei der DB werde nicht wie in einem gemeinsamen Konzern gehandelt, so Hechts grundlegender Vorwurf: DB Regio gucke nur auf die eigenen Kosten, dass dabei die Infrastruktur geschädigt werde, sei egal. Hecht spricht von einem "DB-internen Problem, von dem nicht in Ansätzen erkennbar ist, dass es sich bessern könnte". Die DB lasse einfach den Staat für die ständigen Streckenerneuerungen zahlen.
Gefragt sei deshalb die Politik, fordert Hecht. Hoffnung hat er nicht: Die neue CDU-SPD-Regierung habe nach dem Start eine Arbeitsgruppe im Bundesverkehrsministerium, die das Problem lösen sollte, aufgelöst. Zudem würden Bahn und Bund den volkswirtschaftlichen Schaden ihrer Langzeitstreckensperrungen verheimlichen, sagt Hecht. In der Schweiz wäre es völlig undenkbar, dass eine Hauptstrecke neun Monate am Stück gesperrt wäre. Die Rekordsperrung bis April 2026 auf der Hamburger Strecke ist von vielen Seiten kritisiert worden, vor allem Güterzüge müssen teilweise mehrere hundert Kilometer Umweg fahren. Die Fahrgäste der Region sind völlig abgeschnitten, brauchen per Bus bis zu zwei Stunden länger.
Nur im Fernverkehr gibt es einen Lichtblick. Die gerade vorgestellten neuen ICE L der DB haben diese modernen Räder - Hersteller ist die spanische Firma Talgo. Das neue Modell soll ab Dezember zwischen Berlin und Köln eingesetzt werden.